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Fachtagung in Stuttgart, Ambulant betreute Wohngemeinschaften

| Vinzenz von Paul gGmbH

Fachtagung in Stuttgart, Ambulant betreute Wohngemeinschaften

 

Selbstbestimmung braucht Mut und eine stabile Finanzierung

 

Ambulant betreute Senioren-WGs setzen auf Mitbestimmung und sind beliebt. Doch ihre Finanzierung ist schwierig.  
Auch alte Menschen mit Pflegebedarf sollen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ambulant betreute Senioren-Wohngemeinschaften bieten dafür ein Modell – doch die in Baden-Württemberg noch relativ seltene Wohnform wird durch die unsichere Finanzierung ausgebremst. Das war das Thema einer Fachtagung in Stuttgart, bei der sich auch Sozialminister Manne Lucha hinter das Konzept stellte.


„Pioniere einer neuen Pflegekultur oder Verlierer in der aktuellen Pflegepolitik?“ Um diese Frage drehte sich die Fachtagung, die von der Vinzenz von Paul gGmbH, einem großen Sozialträger in Süddeutschland, organisiert wurde. Rund 160 Vertreter:innen der Altenhilfe kamen zusammen, um sich mit den Chancen und den Schwierigkeiten der ambulant betreuten WGs auseinanderzusetzen. Egal, ob eine private Initiative oder ein professioneller Betreiber hinter einer Senioren-WG steht: Die Finanzierung ist immer ein Stück weit ungewiss. So ist mittlerweile in stationären Einrichtungen der Eigenanteil der Bewohner für die Pflege gedeckelt, in Wohngemeinschaften jedoch nicht: Dadurch sind ihre Bewohner finanziell stärker belastet. Und während die Sozialhilfeträger die Kosten eines Pflegeheims grundsätzlich bezahlen, können sie sich im Fall einer Wohngruppe auch dagegen entscheiden. Das führt zu unterschiedlicher Handhabung, je nach Landkreis, und zu einer großen Verunsicherung.


Es gebe Anbieter, die aus diesem Grund Abstand vom WG-Modell nähmen, berichtete Thomas Kallenowski von der Fachstelle ambulant unterstützte Wohnformen Baden-Württemberg (FaWo). Er wies zudem auf die hohen bürokratischen Hürden hin, die vor allem privaten Initiativen den Einstieg schwer machen. Auch Clemens Wochner-Luikh von der LABEWO, der Landesarbeitsgemeinschaft ambulant betreuter Wohngemeinschaften Baden-Württemberg, fürchtete, dass Resignation um sich greife. Er wünsche sich „angstfreies Handeln für die WGs“.


Das Modell ist also gefährdet, trotz seiner Beliebtheit bei den Betroffenen, den Angehörigen und auch den Kommunen. Für viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sei es ein „ganz wichtiger Baustein in der wohnortnahen Versorgung“, bestätigte Lisa Pauge vom Gemeindetag Baden-Württemberg. Dass man diese Strukturen braucht, stellte Jörg Allgayer als Geschäftsführer der Vinzenz von Paul gGmbH klar: „Wir sehen, dass die ambulanten und stationären Einrichtungen an ihre Grenzen kommen“, sagte er. Sie allein könnten die Versorgung der Zukunft nicht sichern.


Auch den demokratischen Aspekt hob Allgayer hervor: Trotz aller Fortschritte sei in den herkömmlichen Strukturen eine echte Beteiligung nur sehr schwer zu erreichen. Genau diese Teilhabe und Eigenverantwortung sei aber für die „Zukunft der Pflege von größter Bedeutung“, unterstrich Professor Dr. Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Er hat umfassend zum Thema geforscht und publiziert und führte als Moderator durch die Fachtagung.


Vonseiten der Kostenträger waren Dr. Martin Schölkopf vom Bundesministerium für Gesundheit und Nadine-Michèle Szepan vom AOK-Bundesverband digital zugeschaltet und konnten ihre Bedenken vorbringen. Sie sprachen die schwierige Qualitätskontrolle an oder auch die Frage, ob WGs tatsächlich einen echten Mehrwert gegenüber dem Pflegeheim darstellen.


Über diesen Mehrwert war am Vormittag anhand verschiedener Praxisbeispiele gesprochen worden. Die familiäre Atmosphäre, die engen Beziehungen, mehr Demokratie und Selbstbestimmung wurden genannt. Ein eindrückliches Beispiel: Im Zuge der Corona-Pandemie konnten Senioren-Wohngemeinschaften frei entscheiden, ob sie ein Besuchsverbot verhängen oder nicht – und viele haben beschlossen, ihre Türen offen zu lassen. Diese innovative Wohnform biete zudem die Chance auf ein verstärktes Engagement, von Angehörigen wie von Dritten, und könne auch im ländlichen Raum eine gute Versorgung schaffen, so das Fazit.


Dem schloss sich Sozialminister Manne Lucha als Gastredner an. Er zeigte Sympathien für die WGs und ermutigte zu Initiativen. „Wir sind überreguliert und überkomplex“, sagte er im Hinblick auf die bestehenden Hürden. „Lassen Sie uns selbstbewusst und ohne Jammern unsere Potenziale nutzen!“ Doch dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Die Unterstützer der Tagung formulierten in einer Pressemitteilung ihre Forderungen, von der Erhöhung des Wohngruppenzuschlags bis hin zur Möglichkeit einer zweijährigen Probephase. Einer Umfrage zufolge würden 30 Prozent der Bevölkerung bei Bedarf am liebsten in einer ambulant betreuten WG versorgt werden, aber nur 1,4 Prozent hätten aktuell tatsächlich die Chance auf einen Platz. „Daran sollte sich dringend etwas ändern“, so Jörg Allgayer.


Bild: Sozialminister Manne Lucha zeigte Sympathien für innovative Wohnformen und rief zu Initiativen auf.